Mit „Respect“ in die Kanzlerrente

Als Bundeskanzler war Olaf Scholz kein Mann der großen Worte. Vielleicht ist das der Grund, warum die Öffentlichkeit so gespannt darauf ist zu erfahren, mit welchen musikalischen Titeln sich der scheidende Kanzler am Montag beim Zapfenstreich der Bundeswehr verabschieden lässt.
Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erfuhr jetzt aus zuverlässiger Quelle, was der „Spiegel“ zuvor bereits berichtet hatte: Zwei Poptitel und ein klassisches Bach-Stück hat sich der 66-Jährige am letzten seiner 1347 Tage währenden Kanzlerschaft gewünscht. Was will er uns mit den Titeln sagen? Fünf Deutungen.
Am interessantesten ist vielleicht, welchen geographischen, semantischen oder historischen Bezug die Auswahl von Olaf Scholz ignoriert: Es gibt in den drei Musikstücken keinen Bezug auf seine norddeutsche Heimat – kein Bezug auf seine Heimatstadt Osnabrück oder auf Hamburg, wo er seine Kindheit, Jugend und die ersten politischen Jahre verbrachte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2021 bei ihrer Verabschiedung durch die Bundeswehr.
Quelle: Michael Kappeler/dpa
Seine Vorgängerin Angela Merkel hatte mit Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ eine Reminiszenz an ihre ostdeutschen Wurzeln verbunden, hatte mit „Großer Gott, wir loben dich“ von Ignaz Franz an ihre christlichen Wurzeln erinnert und mit dem Lied „Für mich solls rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef das Bild einer starken, selbst bestimmten Frau verstärkt.
Das erste Lied ist der Beatles-Klassiker „In My Life“ vom Album „Rubber Soul“ aus dem Jahr 1965. Es ist nicht das bekannteste Lied des Albums, das ist vermutlich „Michelle“, aber es hat eine deutliche Botschaft: „All diese Orte hatten ihre Momente. Mit Liebhabern und Freunden, an die ich mich noch erinnern kann. Einige sind tot und einige leben noch. In meinem Leben habe ich sie alle geliebt.“
Die folgenden Zeilen des Liedes könnten als Liebeserklärung an seine Frau Britta Ernst durchgehen: „Aber von all diesen Freunden und Liebhabern gibt es niemanden, der mit dir vergleichbar ist. Und diese Erinnerungen verlieren ihre Bedeutung, wenn ich an die Liebe als etwas Neues denke.“
Er habe sie damals „angeschmachtet“, verriet Scholz jüngst der „Bild“-Zeitung, „und gedacht: Niemals nimmt die mich.“
Ein größeres Rätsel gibt indes der zweite Musikwunsch des scheidenden Kanzlers auf – ein Auszug aus dem Zweiten Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach. Das Stück weist ob seiner vier hohen Instrumente gegenüber dem Streichorchester ein sehr charakteristisches, auffällig helles Klangbild aus. Möchte der scheidende Kanzler dem von Krisen und fehlender Zuversicht geplagten Land zum Abschied eine musikalische Portion Optimismus schenken?
Oder ist es, wie Medien vermuten, ein letzter Dank an seinen Potsdamer Wahlkreis? Der gebürtige Thüringer und spätere Wahl-Leipziger Bach widmete das barocke Werk dem brandenburgischen Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt.
Mit ähnlich brandenburgisch-preußischem Bezug hatte sich Helmut Kohl 1998 bei seinem Abschied „Des Großen Kurfürsten Reitermarsch“ gewünscht, neben der Europa-Hymne („Oder an die Freude) und dem Kirchenlied „Nun danket alle Gott“.
Kaum Deutungsspielraum lässt Scholz‘ dritter Musikwunsch zu: „Respect“. In der ursprünglichen Form von Otis Redding aus dem Jahr 1965 geht es im Song um einen Mann, der von seiner Frau Respekt erwartet, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt.
Doch vor allem durch die zwei Jahre später veröffentlichte, leicht abgewandelte Version von Aretha Franklin wurde „Respect“ zum Welthit. Jetzt forderte eine Frau Respekt von ihrem Lebensgefährden, mit dem sie nicht verheiratet ist, ihm aber finanziell aushilft.
Während der dreijährigen Amtszeit war die Arbeit der Ampel-Koalition und auch die Rolle von Olaf Scholz als Regierungschef von viel Kritik begleitet. An gegenseitigem Respekt hat es wohl auch unter den drei Koalitionsparteien gemangelt, sonst wäre das Bündnis nicht am 6. November 2024 vorzeitig zerbrochen. Ob Scholz mehr Respekt unter politischen Akteuren – auch mit Blick auf die aus SPD und Union bestehende Nachfolgeregierung – fordert, oder das auf seine politische Hinterlassenschaft bezieht, bleibt sein Geheimnis.
Scholz scheidet, so lässt es sein musikalisches Programm vermuten, versöhnlich aus dem Amt. Manch Vorgänger ging im Trotz. Der letzte Sozialdemokrat, der sich mit klingenden Pauken und Trompeten aus dem Kanzleramt verabschiedete, war 2005 Gerhard Schröder. Neben „Mackie Messer“ (Brechts Dreigroschenoper - „Und der Haifisch, der hat Zähne...“) und „Summertime” (aus der Oper „Porgy and Bess“ von George Gershwin) wünschte er sich vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr „My Way“ von Frank Sinatra. Die Hymne aller Unangepassten.
Damals wurde darüber gerätselt. Heute wissen wir, wohin den Sozialdemokraten „sein Weg“ noch führte – über die Freundschaft zum Kreml-Autokraten Wladimir Putin in den Aufsichtsrat der vom russischen Staatskonzern Gazprom kontrollierten Nord Stream AG.
RND/stu
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